Die internationale Lage und die Position des Kommunismus
Auf dem zweiten Kongreß der Partei [1] und in den Artikeln, die später in
der KOMONIST [2] veröffentlicht wurden,
wurde der Arbeiterkommunismus als die Orientierung und Denkmethode dargestellt, die unsere Partei sich zu eigen
machen sollte. In welchem Ausmaß diese Diskussion und eben dieser Begriff des Arbeiterkommunismus in der
Praxis in unser Denken und unsere Politik eingedrungen ist, und in weichem Ausmaß heute eine allgemeine
Vorstellung von diesem Begriff existiert, darauf wollen wir hier nicht eingehen. Auf jeden Fall stellte uns die
Diskussion über den Arbeiterkommunismus vor eine Wahl; nämlich die Wahl, entweder ein Kommunist zu sein,
der die Sache der Arbeiterrevolution vorantreibt, oder allgemein radikal zu sein, d.h. gefangen zu sein im Reich des
nichtproletarischen Radikalismus. Seitdem haben international sehr wichtige, historische Ereignisse stattgefunden.
Diese Wahl, über die wir auf dem Zweiten Kongreß gesprochen haben, hat dadurch keine objektive Aktualität
mehr, weder für uns noch für irgendeinen Bereich dieser internationalen Strömung, die sich selbst - berechtigt oder
unberechtigt - eine kommunistische Bewegung nennt. Außer dem Arbeiterkommunismus und der
Arbeiterrevolution gehen die letzten Möglichkeiten, eine radikale Strömung zu bleiben, ihrem Ende entgegen.
Wenn es eine Wahl gibt, dann die zwischen dem Arbeiterkommunismus einerseits und einem sterilen, bürgerlichen
Liberalismus und Reformismus andererseits. Unsere Zeiten sind - wie die Ereignisse der letzten Jahre gezeigt haben
- Zeiten des Verfalls und der Auflösung jeglicher Art von Radikalismus, der ohne die Arbeiter, ohne ihre Kraft,
ohne die sozialistische Idee des Gemeinschaftseigentums und die Abschaffung der Lohnarbeit in den Vordergrund
treten und eine Rolle spielen will. Was auf dem Zweiten Kongreß als ein ermutigender Aufruf angekündigt wurde,
ist heute eine drohende Warnung und ein Ultimatum.
Die Ereignisse der letzten Jahre auf dem Gebiet der internationalen Wirtschaft und Politik sind zweifellos
erstaunlich. Eines der wichtigsten Ereignisse sind die grundlegenden Umwälzungen, die in der Sowjetunion
stattgefunden haben, und die immer noch andauern, und die damit eng verbundenen innerhalb der Beziehungen
zwischen den imperialistischen Mächten stattfinden. Die Vereinbarungen über die Reduzierung der Atomwaffen
und die Änderung der Position der Sowjetunion in der internationalen Szene sind nur einige Erscheinungen dieser
Entwicklungen. Grundlegende Änderungen haben in den Reihen der gesamten internationalen Bourgeoisie in der
Frage der Rolle des Staates in der kapitalistischen Wirtschaft stattgefunden. Die verschiedenen Modelle des
Staatskapitalismus und der staatlichen Einmischung in die Wirtschaft sind nicht nur in Osteuropa sondern in allen
industriellen Gesellschaften einer Revision unterzogen worden. Wichtige Entwicklungen finden gerade in den
internationalen Krisen- und Konfliktgebieten statt: in Afrika, Asien, im Mittleren Osten und in Lateinamerika.
Die wirtschaftlichen Entwicklungsstrategien der fünfziger und sechziger Jahre sind in den Entwicklungsländern
fehlgeschlagen, und für die Mehrzahl dieser Länder ist das Problem der Entwicklung umgeschlagen in das des
wirtschaftlichen Oberlebens. Nicht nur die "Befreiungsbewegungen" sondern auch die Staaten, in denen solche
Bewegungen an die Macht kamen, haben eine noch nie dagewesene Wendung Richtung Westen vollzogen.
Sozialismus und Marxismus verlieren ihren Einfluß als ideologischer Deckmantel für Unabhängigkeits- und
"antiimperialistische" Kämpfe. In Westeuropa und Nordamerika sind die Sozialdemokratie und der linke Flügel der
Bourgeoisie allgemein in eine tiefe ideologische und programmatische Krise hineingerutscht. Sie befassen sich
damit, die Grundlagen ihrer politischen und wirtschaftlichen Zielsetzung und Vorgehensweise zu revidieren und
eine strukturelle und fundamentale Wendung nach rechts zu vollziehen. Die Macht der Gewerkschaften ist in diesen
Ländern drastisch zurückgegangen. Vor einem Hintergrund wachsender Kompromisse zwischen den
imperialistischen Mächten hat sich die Krise über die Art der Regierungsform in den Entwicklungsländern - ein
Merkmal der Welt der späten siebziger und beginnenden Achtziger Jahre - allmählich abgeschwächt. Die
Bourgeoisie in den Entwicklungsländern hat dadurch mehr politische Unabhängigkeit und einen größeren
Handlungsspielraum bekommen. Keine dieser Entwicklungen ist aus dem Nichts aufgetaucht. Viele konnte man
sogar schon vor 3 Jahren klar erkennen. Sie alle haben ihre Wurzel in der Entwicklung des Kapitalismus in der Zeit
nach dem Zweiten Weltkrieg und sind das Ergebnis von dauerhaften und grundlegenden Bestrebungen. Aber das,
was in dem jüngsten Zeitabschnitt offensichtlich geworden ist - und das ist im Grunde genommen mit den
Entwicklungen in der Sowjetunion verbunden - ist, daß diese Veränderungen als Ganzes gesehen zu einer nicht
umkehrbaren und völlig neuen Lage führen. Wir sind Zeugen von grundlegenden Veränderungen in der
wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Haltung der kapitalistischen Welt; Veränderungen, die eine starke
Wirkung auf das Leben und den Kampf der Arbeiterklasse und die Bedingungen und Anforderungen des Kampfes
für die kommunistische Revolution haben.
Zwei entschiedene Prozesse
Die gegenwärtige Lage betont zwei grundlegende Tatsachen:
1- Das schwankende Wachstum des Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten und die gewaltige Revolution,
die in der produktiven Leistungsfähigkeit der Gesellschaft einerseits stattgefunden hat, und andererseits das enorme
Ausmaß der Härte, die den hungerten von Millionen von arbeitenden und besitzlosen Menschen in der gleichen
industriellen und fortgeschrittenen Welt aufgebürdet wird, haben den Kommunismus objektiv zu einem
realisierbaren und unbedingt notwendigen Weg zur Rettung der gesamten Menschheit gemacht.
2- Der Bourgeois-Kommunismus und -Sozialismus mit all ihren Ausläufern und Sekten sind in eine
Sackgasse geraten und liegen in den letzten Zügen. Diese Sackgasse und dieser Rückzug sind jedoch nicht die Folge
des radikalen Arbeiter-Sozialismus, dem es zwar momentan an sozialem Zusammenhalt und an Kraft mangelt,
sondern sie sind die Folge der Offensive des rechten Flügels der internationalen Bourgeoisie. Die Degeneration und
Auflösung des Bourgeois-Sozialismus, sei es des Modells in China oder in der Sowjetunion, oder sei es das
Schicksal der Sozialdemokratie und des Eurokommunismus oder des antiimperialistischen Populismus in den
Entwicklungsländern, führt nicht unmittelbar zur Stärkung des Arbeiter-Sozialismus, sondern zum politischen und
ideologischen Zusammenhalt der Bourgeoisie gegen Sozialismus und Arbeiter-Revolution.
Noch nie ist der Widerspruch zwischen dem Bedürfnis der Gesellschaft nach der kommunistischen Revolution und
der Reife der Produktionsverhältnisse eine Gesellschaft aufzubauen, die auf Gemeinschaftseigentum basiert, und
dem völligen Fehlen einer organisierten politischen Kraft, um diese Umwandlung vorzunehmen, so deutlich
gewesen.
Die gewaltige Entwicklung des Kapitalismus in den Nachkriegsjahren muß nicht bewiesen werden. Das rasche
Wachstum der Technik, die Revolution der Elektronik und Informatik in den vergangenen Jahrzehnten, die
beispiellose Expansion bei der Verwendung von Robotern und Computersystemen in der Produktion und im
Vertrieb geben Hinweise auf das quantitative Ausmaß dieser Entwicklung. Aber eine noch grundlegendere Tatsache
ist die Ausweitung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu den unterentwickelten Ländern und ehemaligen
Kolonien, das Rekrutieren von hungerten von Millionen von Menschen für den Arbeitsmarkt und die Integration der
Produktionsfaktoren und des Verbrauchermarktes dieser Länder in das kapitalistische Weltsystem. Diese gewaltige
Entwicklung des Kapitalismus und die infolgedessen grundlegenden Änderungen in der politischen und
wirtschaftlichen Organisation der Bourgeoisie auf internationaler Ebene sind in der Tat die Wurzel aller
Entwicklungen, die auf politischen und ideologischen Ebenen und in den verschiedenen Zweigen der Bourgeoisie
stattgefunden haben. Im Denken der nicht zur Arbeiterklasse gehörenden Linken wird diese Realität entweder
abgeleugnet, indem sie auf Phrasen über die chronische Krise in den siebziger und Achtziger Jahren reduziert wird,
oder sie wird benutzt, um Hoffnungslosigkeit über die Aussichten des Sozialismus zu verbreiten und ein
Verschieben der sozialistischen Revolution in eine ferne Zukunft zu rechtfertigen. Vom Standpunkt der Arbeiter-Revolution
weist das jedoch auf das Vorhandensein von günstigeren Bedingungen für die sozialistische
Umgestaltung hin. Der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital hat sich heute offensichtlich in eine Kraft verwandelt,
die soziale Umgestaltungen in der ganzen Welt vorantreibt und bereits jedem politischen Konflikt in unserem
Zeitalter ihren Stempel aufgedrückt hat.
Die Entwicklung des Kapitalismus ist mit der Zunahme des politischen Gewichts der Arbeiterklasse in der
Gesellschaft verbunden. Die Arbeiterklasse hat international eine viel stärkere Position in der Produktion erreicht,
und infolgedessen auch eine stärkere Position in der Politik. Das mag für diejenigen überraschend sein, die die
Denkart der Linken und den Standpunkt der Gewerkschaftsbewegung in Europa als ihren Bezugspunkt
übernehmen, und die an die Kurzsichtigkeit der Sozialdemokratie und den Universitätsmarxismus in Europa
gebunden sind. Man weist uns darauf hin, daß zusammen mit der Modernisierung der Produktion, dem Rückgang
der traditionellen Schwerindustrie wie Stahl und Kohle und dem schnellen Anwachsen des Dienstleistungsgewerbes
der Anteil des Proletariats an der Gesamtbevölkerung abgenommen hat- daß die Gewerkschaften ihren
Einfluß und ihre Macht verloren haben; daß die Arbeiterbewegung von der Friedens- und Umweltbewegung in den
Schatten gedrängt worden ist; daß Parteien mit einer Arbeiterbasis, wie z.B. die Sozialdemokratie und der
Eurokommunismus dabei sind, ihre parlamentarischen Sitze zu verlieren und sich damit zu befassen, ihre soziale
Identität neu zu definieren und ihre Konzepte, die auf die eine oder andere Art den Sozialismus mit der
Arbeiterklasse verbunden haben, zu revidieren- daß sogar die pro- sowjetischen Parteien jetzt öffentlich diese
sozialdemokratische Orientierung gutheißen. Ihrer Meinung nach sind die Arbeiter-Politik, der Arbeiter-Sozialismus
und der Klassenkampf jetzt veraltete und überholte Ideen.
Es ist erstaunlich, daß das Prinzip des Kampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie und der Konflikt zwischen
Arbeit und Kapital zutreffend sein soll für den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, den Kapitalismus des Zeitalters
der Dampfmaschine, den Kapitalismus, der auf eine Handvoll europäischer Länder begrenzt ist, der aber seine
Bedeutung verloren haben soll für eine Welt, in der das Kapital bis in die entferntesten Ecken Afrikas und Asiens
vorgedrungen ist, eine Welt mit riesigen Produktionsstätten und multinationalen Firmen, eine Weit, in der die
Herstellung eines einzigen Produktes hunderte von Fabriken und Unternehmen und Millionen Arbeiter
verschiedener Kontinente miteinander verbindet! Der Prozentsatz des Proletariats, also der Lohn-Arbeiter, hat in der
modernen Produktion nicht nur nicht abgenommen, sondern ein Proletarier zu sein, ist die Lebensart von hungerten
von Millionen in der ganzen Welt geworden. In dem gesamten sozialen Konflikt des letzten Jahrzehnts im
industriellen Europa und den Vereinigten Staaten - wie auch Thatcherismus, Reaganismus und Monetarismus
beweisen - ging es um nichts anderes als die Produktivität desselben Proletariats zu steigern, dessen Untergang der
Bourgeois- Sozialismus angekündigt hat. In allen Entwicklungsländern hat das Entstehen einer großen
Arbeiterklasse in den letzten zwei Jahrzehnten die wirtschaftliche Zusammensetzung und die traditionellen
politischen Gesetzmäßigkeiten in der Gesellschaft verwandelt. Die politischen Krisen, Unruhen und Revolutionen
in Ländern wie Brasilien, Argentinien, Korea, den Philippinen, Südafrika und dem Iran sind auf diese grundlegende
Tatsache zurückzuführen. Diese Unruhen entstehen dadurch, daß der traditionelle politische Überbau dieser
Gesellschaften sich einer starken Arbeiterklasse anpassen muß, die ihre Forderungen und Erwartungen mit
wachsender Klarheit und Kraft ausspricht.
Aus der Sicht der Arbeiterklasse und für das Ziel des Arbeiter-Sozialismus hat dieser allgemeine
Entwicklungsprozeß des Kapitalismus ohne Zweifel viel objektivere, günstigere Bedingungen geschaffen. Die
proletarischen Reihen sind angewachsen, und für die große Mehrheit der arbeitenden Massen in der ganzen Welt
hat die proletarische Identität Vorrang vor der nationalen, ethnischen oder Rassenidentität. Andererseits hat diese
rasche Entwicklung der Technik und der Produktivkräfte der Menschheit, das Ausmaß der Sozialisierung und
Internationalisierung der Produktion und der eindrucksvolle Fortschritt, der durch die elektronische Revolution in
der Kommunikation, Information, Datenverarbeitung etc. Verursacht worden ist, die Schaffung einer
sozialistischen Gesellschaft, die auf Gemeinschaftseigentum und gemeinsamer Kontrolle der Produktionsmittel und
des Arbeitsprozesses, sowie auf einer bewußten Produktion auf Grundlage der Bedürfnisse der Menschen und der
Schaffung einer wirklich internationalen, menschlichen Gesellschaft basiert, zu einem sofort erreichbaren und
realisierbaren Ziel gemacht.
Die Krise des Bourgeois-Sozialismus
Trotzdem verweist die heutige politische und ideologische Lage auf die zahlreichen Schwierigkeiten, die der
Arbeiterrevolution im Wege stehen. Auf den ersten Blick kann man von einer ernsten politischen und ideologischen
Wende, die die gesamte sozialistische Bewegung mit einbezieht, sprechen. Diese Wende, die in Wirklichkeit auf
die wirtschaftlichen Fortschritte des heutigen Kapitalismus zurückzuführen ist, wird durch den politischen und
theoretischen Bankrott des gesamten Bourgeois-Sozialismus gekennzeichnet. Nun kann man fragen, warum die
Niederlage des Bourgeois-Sozialismus als eine negative Entwicklung aus der Sicht der Arbeiterklasse betrachtet
werden kann. Zielt nicht der Arbeiter- Kommunismus, wie er in bisherigen Diskussionen dargestellt worden ist,
selbst darauf ab, den Bourgeois-Sozialismus und den Pseudo-Marxismus, weiche so lange die revolutionäre
Bewegung der Arbeiter beherrscht haben, zu zerstören und in eine Sackgasse zu treiben ? Sollte nicht die
gegenwärtige Sackgasse in der sich der nichtproletarische Sozialismus befindet, als ein wichtiger Schritt vorwärts
gesehen werden ? Kein Zweifel, jeder Fortschritt des Arbeiter-Kommunismus und die Selbstbehauptung der
Arbeiterklasse unter der Fahne des revolutionären Sozialismus bedeutet Isolierung und Schwächung des Einflusses
des Bourgeois-Sozialismus. Andererseits besteht kein Zweifel daran, daß aus historischer Sicht die Unfähigkeit der
Bourgeoisie, Hand an den Slogan und die Ideale des Sozialismus zu legen, die Sache des Arbeiter-Sozialismus
erleichtert wird.
Aber jede Schwächung und Niederlage des nichtproletarischen Sozialismus bedeutet nicht unmittelbar und
automatisch eine Stärkung des Arbeiter- Kommunismus. Es ist wichtig, die konkrete Situation und die
Bedingungen, unter denen diese Wende des nichtproletarischen Sozialismus stattfindet, zu analysieren. Was heute
gesamtgesellschaftlich zu beobachten ist, ist eine allgemeine Hinwendung nach Rechts und eine Sackgasse, in die
der sogenannte sozialistische Reformismus des linken Flügels der Bourgeoisie angesichts der objektiven
wirtschaftlichen Entwicklungen und der Offensive der neuen Rechten geraten ist. Nachfolgend werden wir von den
Schwierigkeiten, die diese Wende dem Kommunismus und der Arbeiterrevolution in den Weg legt, sprechen. Aber
zunächst ist es notwendig, kurz auf die Hauptfaktoren, die zu dieser Krise beigetragen haben, zurückzublicken.
Das Versagen der staatskapitalistischen Modelle
In den Achtziger Jahren konnte man den wirtschaftlichen und politischen Rückzug und Bankrott der Modelle
beobachten, die auf umfassenden staatlichen Interventionen in der kapitalistischen Wirtschaft basieren. Heute haben
sogar die linken Flügel der Bourgeoisie in den fortgeschrittenen Industrieländern - die Sozialdemokratie und der
Eurokommunismus - die Position einer weitgehenden Intervention durch den Staat auf dem kapitalistischen Markt
aufgegeben. Gorbatschowismus hat das Signal für diesen Rückzug in der Geburtsstätte des Staatskapitalismus
gegeben. Auch in den Entwicklungsländern sind die Anstrengungen der Bourgeoisie, die nationale Wirtschaft durch
den Staatskapitalismus zu fördern, vollkommen gescheitert. Dieser Rückzug ist das Ergebnis des Eintreten des
heutigen Kapitalismus in eine Periode, in weicher die Bedingungen, die ein Eingreifen des Staates notwendig
machten, um die Funktion des kapitalistischen Marktes zu begrenzen, verschwunden sind, und diese Politik ist
selbst zu einem einschränkenden Faktor im Prozeß der Kapitalakkumulation geworden. Die Zentralisierung und
Konzentration des Kapitals und das Entstehen von Monopolen sind selbst die Hauptfaktoren, die - historisch
gesehen - die Rolle des Staates als eine aktive wirtschaftliche Institution und ein Mittel zur Regulierung des
wirtschaftlichen Kreislaufs verstärkt haben. Selbst in den konkurrenzfähigsten kapitalistischen Wirtschaftssystemen
hat der Staat heute eine wichtige und anerkannte Funktion. Und der gesamte Angriff des Neokonservatismus kann
und soll auch nicht das Zeitalter des freien Wettbewerbs zurückbringen. Was wir das Versagen der
staatskapitalistischen Modelle nennen, ist der Bankrott der pseudosozialistischen Modelle, die versuchten, die
Markt-Gesetze und - Mechanismen mit Hilfe von staatlichen Interventionen und/oder Planungen zu lenken und zu
steuern. Die gegenwärtige Periode bestätigt den unbestreitbaren Sieg des freien Marktes und seiner Befürworter.
Ganz allgemein kann man drei Faktoren, die die Rolle des Staates in der kapitalistischen Wirtschaft des 20.
Jahrhunderts verstärkt haben, erkennen:
1) Eine Zeit lang lieferte die russische Revolution ein erfolgreiches Beispiel der Staatswirtschaft. In der Zeit
zwischen den beiden Weltkriegen, als Westeuropa sich in einer Periode der Krise und Depression befand, erfreute
sich die Staatswirtschaft der Sowjetunion eines schnellen Wachstums und entwickelte sich von einem schwachen,
zweitklassigen Staat in Europa zu einer riesigen wirtschaftlichen und militärischen Macht. Obwohl diese
Entwicklung unter dem Namen des Sozialismus stattfand, war es der gesamten Bourgeoisie, und besonders der
Bourgeoisie in Ländern, die sich in einer mehr oder weniger ähnlichen Situation wie die Sowjetunion befanden,
klar, daß dieses Land ein Beispiel für eine kapitalistische Entwicklung durch staatliche Führung und Initiative
lieferte. Viele der wirtschaftlichen Planungen und Berechnungen, die von der Sowjetunion entworfen worden
waren, wurden vom Westen schnell übernommen und wurden Bestandteil der bürgerlichen
Wirtschaftswissenschaften.
2) Die wirtschaftliche Rezession zwischen den beiden Weltkriegen, die wirtschaftliche Mobilisierung
während des Zweiten Weltkrieges und der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa zogen den
Staat zu beträchtlichen wirtschaftlichen Aktivitäten heran. Nach dem Krieg theoretisierte man ganz offen, daß
staatliche Interventionen der einzige Weg seien, um das Wachstum zu beschleunigen und das Kapital zu vermehren.
Der Konflikt innerhalb der verschiedenen Flügel der Bourgeoisie konzentrierte sich im wesentlichen auf die
Alternative: freier Markt oder Staat. In den fünfziger und sechziger Jahren wurde zusammen mit dem Anwachsen
des Volkseinkommens in den westeuropäischen kapitalistischen Ländern der Wohlfahrtsstaat, der eine Zunahme der
Staatsmacht in der Wirtschaft erforderte, die herrschende, offizielle Ideologie.
3) Ab Ende der fünfziger Jahre wurde die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung der Entwicklungsländer
und der gerade unabhängig gewordenen Kolonien auf internationaler Ebene aufgegriffen. Die Entwicklung des
Kapitalismus und des internen Marktes dieser Staaten und das Erreichen einer unabhängigen und nationalen
Dynamik für wirtschaftliches Wachstum war das wirtschaftliche Ziel des Nationalismus der anwachsenden
Bourgeoisie der Entwicklungsländer. Dieser Nationalismus und seine wirtschaftliche Perspektive sind bis vor
kurzem die dominante Ideologie jeglicher nichtproletarischer Fortschrittlichkeit in den Entwicklungsländern
gewesen und galten als Zeichen für Revolutionismus, Radikalismus und sogar Sozialismus in diesen Ländern.
Ebenfalls Ende der fünfziger Jahre wurde eine bestimmte Entwicklungsstrategie unter den Intellektuellen dieser
Staaten populär. Diese Strategie basierte auf der Bildung unabhängiger nationaler Staaten, auf staatlicher
Unterstützung des einheimischen Marktes und darauf, daß der Staat eine direkte und Hauptrolle bei der Schaffung
einer wirtschaftlichen und produktiven Infrastruktur spielen sollte. Diese wesentliche Funktion des Staates in der
wirtschaftlichen Entwicklung wurde nicht nur von den radikalen Flügeln, die stark von dem Entwicklungsvorbild
der Sowjetunion und der von ihr vorgeschlagenen Modelle beeinflußt wurden, sondern auch von den konservativen
Nationalisten betont. In den sechziger und siebziger Jahren wurde die Entwicklungsstrategie, die auf Staatsplanung
und der Politik des Importersatzes basierte, von einer Menge Staaten mit verschiedenen politischen Tendenzen
ausprobiert.
In den letzten Jahren haben grundlegende Veränderungen in allen diesen Tendenzen stattgefunden. Die Ursache für
diese Veränderungen sind in der technischen Revolution der siebziger und Achtziger Jahre zu sehen. In der
Sowjetunion wurden die Unzulänglichkeiten des Staatskapitalismus sichtbar. Die Geschichte hat in der Praxis
gezeigt, daß das kapitalistische Modell der Sowjetunion für eine bestimmte Periode in den kapitalistischen
Gesellschaften der Entwicklungsländer, in denen die Schaffung der wirtschaftlichen Infrastruktur und der
Schwerindustrie, die Mobilisierung der Arbeitskraft und die Produktion des absoluten Mehrwertes durch eine
ständig steigende Anwerbung der Bevölkerung für den Lohn Arbeitsmarkt Vorrang hatten, geeignet war. Aber
durch die Erschöpfung der Arbeitskraft- Reserve, durch die aktuell gewordene Notwendigkeit, die moderne
Technologie für die Produktion des relativen Mehrwertes zu übernehmen und durch ein Ansteigen der
Verbraucherbedürfnisse, gerät ein solches System in eine Sackgasse. Die sowjetische Wirtschaft muß nach der
langen Rezessionsperiode der Breschnev-Ära notwendigerweise fundamentale Änderungen in Richtung auf den
Mechanismus des freien Marktes akzeptieren, um in der Lage zu sein, die technologischen Fortschritte der letzten
Jahrzehnte in Anspruch nehmen zu können, und somit die riesige Kluft, die sich zwischen den wirtschaftlichen
Funktionen der Sowjetunion einerseits und denen Westeuropas und der USA andererseits gebildet hat, zu
überbrücken. Perestroika ist das Stichwort für den Rückzug des Staates zugunsten des freien Marktes in der
politischen und wirtschaftlichen Sphäre der Sowjetunion; ein Rückzug, der die sowjetische Gesellschaft und ihre
Position in der internationalen Szene verändern wird.
In Westeuropa hat die Bourgeoisie große Anstrengungen unternommen, die Produktivität der Arbeit zu steigern und
das Kapital zugunsten des produktiven Kapitals neu zu strukturieren. Der erste Schritt dieser Politik, die im
Programm der konservativen Flügel deutlich zu erkennen und realisiert worden ist, ist, zu versuchen, die staatlichen
Interventionen im Wirtschaftsbereich einzuschränken und den Handlungsspielraum des privaten Kapitals und des
Marktmechanismus zu verstärken. Entgegen früheren Vorstellungen war die Offensive der neuen Rechten kein
taktischer und vorübergehender Schritt. Vielmehr ist es dem neuen Konservatismus nicht nur gelungen, den
privaten Sektor zu stärken und die Einrichtungen und Methoden des Wohlfahrts-Kapitalismus abzuschaffen,
sondern das ideologische Gleichgewicht in den europäischen Ländern zu seinen eigenen Gunsten zu verändern.
Die Sozialdemokratie, Initiator des Wohlfahrtsstaates und hartnäckiger Verteidiger von weitreichenden
Staatsinterventionen zur Regulierung und Kontrolle wirtschaftlicher Aktivitäten, konnte sich diesen grundlegenden
wirtschaftlichen und ideologischen Entwicklungen nicht widersetzen, vielmehr übernahm sie sogar einen
bedeutenden Teil des Programmes der Rechten.
In den Entwicklungsländern geriet die Strategie der unabhängigen Entwicklung in eine Sackgasse. Die technische
Revolution in Europa, den USA und Japan machte das alte Problem in der wirtschaftlichen Entwicklung der
Entwicklungsländer, nämlich das Problem des Technologie-Transfers und des Kapitalmangels, wieder deutlich. Die
nationalistischen Ideen, die auf wirtschaftlicher Entwicklung durch Importersatz basierten, und die sich auf eine
leistungsfähige eigene Technologie verließen, erwiesen sich als nutzlos. Die Kluft zwischen den Industrienationen
und den unterentwickelten Ländern wurde größer. Verarmung, Hungersnot und Schulden sind heute so sehr zu den
charakteristischen Merkmalen der meisten dieser Entwicklungsländer geworden, daß die Unfähigkeit dieser
Schuldnerländer, ihre Schulden an die internationalen Finanzinstitutionen zurückzuzahlen, zu einer Bedrohung des
gesamten Welt-Kapitalismus geworden ist. Man muß feststellen, daß Länder, wie z.B. Mosambique, Angola und
auch Vietnam, also Länder, in denen Freiheits- und antiimperialistische Bewegungen mit einem
staatswirtschaftlichen Programm, unterstützt durch von der Sowjetunion, an die Macht kamen, keine Ausnahme
dieser Regel sind. Die Strategie der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung, sowohl in seiner konservativen und pro-westlichen
Form als auch in seiner radikalen Form, ist gescheitert.
Hingegen machen die neu industrialisierten Länder in Ostasien, deren Entwicklungsmodell, gemessen an den
Kriterien der nationalistischen Entwicklungsdoktrin der letzten zwei Jahrzehnte, sicherlich als imperialistisch und
abhängig bezeichnet worden wäre, eine andere Erfahrung und hatten eine hohe und stabile Wachstumsrate. In
diesen Ländern, in denen der private Sektor und das fremde Kapital einen großen Handlungsspielraum haben, ist die
industrielle Produktion rasch expandiert, und diese Länder haben den Teufelskreis der Unterentwicklung eindeutig
verlassen. Einhergehend mit dem Scheitern der alten Entwicklungsmodelle hat somit die imperialistische
Entwicklungsstrategie, die sich auf das westliche Kapital stützt, mehr Anerkennung bei der Bourgeoisie der
Entwicklungsländer gefunden.
Im Hinblick auf diese Entwicklungen haben die Führer der europäischen Bourgeoisie bereits verkündet, daß der
freie Markt die staatlich gelenkte Wirtschaft besiegt hat. Die einstigen Befürworter der verschiedenen Modelle
staatlich gelenkter Wirtschaft haben sich zurückgezogen. Für den rechten Flügel der Bourgeoisie ist alles eindeutig;
der linke Flügel ist durcheinander und sieht sich gezwungen, seine programmatische, politische und ideologische
Basis neu aufzubauen. Welches die neuen Perspektiven des linken Flügels der Bourgeoisie auch sein mögen, eines
ist schon jetzt klar: der Staat und die staatlich gelenkte Wirtschaft werden darin nicht mehr den gleichen Platz
haben.
Das ideologische und politische Ausmaß der Krise
Das Scheitern der staatswirtschaftlichen Perspektive ist ein verhängnisvoller Schlag für den Bourgeois-Sozialismus
unserer Epoche, und auch für alle seine Splittergruppen. Den Sozialismus auf die Staatswirtschaft zu reduzieren und
die Widersprüche des Kapitalismus mit Hilfe der staatlichen Interventionen verschiedenster Art überwinden zu
wollen, ist der allgemeine Inhalt des gesamten nichtproletarischen Sozialismus, vom sowjetischen Revisionismus
und Trotzkismus bis hin zur Sozialdemokratie, dem Eurokommunismus, Maoismus und Populismus. Heutzutage ist
es dieser allgemeine Inhalt, der als gescheitert erklärt wird. Die Methode und Perspektive, die dazu gedacht waren,
die Widersprüche des bestehenden Kapitalismus zu eliminieren, sind durch das Wachstum dieses Kapitalismus
selbst in einen großen Widerspruch geraten, und sind durch den Wettbewerb und den freien Markt an den Rand
gedrängt worden. Das macht das Auftreten einer starken ldentitäts- und politischen Krise unvermeidbar. Die Lage
in China und der Sowjetunion, die verzweifelte Lage, in der sich die Sozialdemokratie befindet, und der verwirrte
Zustand der Freiheitsbewegungen und der sogenannten radikalen Staaten der Entwicklungsländer sind ein Beweis
für diese Krise. Dieser Sozialismus hat seine wirtschaftliche Orientierung und damit seinen gesamten sozialen
Anspruch verloren. Es mangelt ihm an Perspektiven, Lösungsmöglichkeiten, Alternativen und sogar an dem
Wunsch, seine Machtposition zu wahren. Mit dem Verlust des Wirtschaftsmodells und des sozialen Systems, das
sich auf Interventionen des Staates verläßt, ist die Fortschrittlichkeit und der "Revolutionismus" dieses Sozialismus
bedeutungslos geworden und gescheitert. Sogar im Kampf um Reformen mangelt es dieser Strömung an einer
genau definierten Politik und Orientierung. Also bleibt dieser Strömung nichts anderes übrig, als den Kampf um
politische Macht und die Einführung einer wirtschaftlichen Alternative aufzugeben und sich zu einer
oppositionellen Gruppe zu reduzieren, um auf die Funktionen des heutigen Kapitalismus in den Bereichen der
Menschenrechte, des Umweltschutzes und des Friedens Druck auszuüben und sie abzumildern. Der Bourgeois-Sozialismus
wird zwangsläufig ein Sozialismus ohne soziale Grundlage und folglich ohne politischen Anspruch
sein. Dieses Problem wird deutlich in den verschiedenen Schicksalsformen der sowjetischen Blockparteien, der
Sozialdemokratie und des populistischen Pseudo-Sozialismus in den Entwicklungsländern.
Die sowjetische Krise hat, wie schon gesagt, eine tiefe wirtschaftliche Wurzel. Mit dem Gorbatschowismus schließt
sich der Kreis des Scheiterns dessen, was die Bourgeoisie in Rußland unter dem Vorwand "Sozialismus in einem
Land" der Arbeiterrevolution aufgedrängt hat. In den späten zwanziger Jahren wurde der sowjetischen
Arbeiterklasse unter dem Druck von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dem Mangel an einer wirtschaftlichen
Perspektive für das kommunistische Lager und dem Druck des russischen Nationalismus der Staatskapitalismus als
ein wirtschaftlicher Inhalt der proletarischen Revolution aufgedrängt. Die Idee des Gemeinschaftseigentums und die
Abschaffung der Lohnarbeit, diese untrennbaren Bestandteile des marxschen revolutionären Sozialismus wurden
reduziert auf die Verstaatlichung des Kapitals und die staatliche Planung der kapitalistischen Produktion. Dieses
wirtschaftliche Modell sicherte in der Praxis den raschen Abschluß des Prozesses der ursprünglichen Akkumulation
und des beschleunigten Aufbaus der wirtschaftlichen und industriellen Infrastruktur in der Sowjetunion. Die
Illusion, daß dieses neue System sozialistisch sei, die größere Handlungsfreiheit der Arbeiter durch das neue
Modell, das Vorhandensein einer großen Arbeitskraftquelle auf dem Lande und das enorme wirtschaftliche
Potential des riesigen Rußland, all dieses lieferte die Möglichkeiten für ein rasches wirtschaftliches Wachstum. Mit
dem Abschluß dieser Periode der Akkumulation und des Wachstums verliert das wirtschaftliche Modell des
Staatskapitalisrnus jedoch seine Wirkung. Fortgeschrittener Kapitalismus erfordert ein konstantes Steigern der
Arbeitsproduktivität durch Anwendung moderner Technologien, Ausweitung der Produktionsvielfalt, um die
Bedürfnisse, die durch ein steigendes Volkseinkommen entstehen, befriedigen zu können, das Vorhandensein eines
effektiven Mechanismus für die Warenverteilung, für die Prognose und Kalkulation der Bedürfnisse, für die
Verbesserung der Qualität der Waren und für den Transfer des Kapitals auf profitablere Bereiche. Beim
kapitalistischen westlichen Modell sorgen der Wettbewerb und der Markt für diese Erfordernisse. Im
staatskapitalistischen Modell der Sowjetunion wurde diese Rolle hauptsächlich von der "Planung" und
administrativen Maßnahmen übernommen. Solch ein System kann jedoch nicht den Erfordernissen eines
fortgeschrittenen Kapitalismus mit seinen vielfältigen Problemen gerecht werden. So wird die sowjetische
Wirtschaft gerade zu dem Zeitpunkt, als die Länder des marktorientierten Kapitalismus schnell die Ergebnisse der
technologischen Revolution übernehmen, von einer beispiellosen Rezession betroffen. Diese Rezession kann nicht
mehr dadurch bewältigt werden, daß man Druck auf die Arbeiterklasse ausübt, die Arbeitsintensität steigert oder
mehr Arbeitskräfte einstellt. Die sowjetische Wirtschaft muß sich zwangsläufig einer grundlegenden strukturellen
Veränderung unterziehen in Richtung auf Freisetzung des Marktmechanismus und Abschaffung der
Beschränkungen, die der freien Kapitalbewegung durch das politische und administrative System dieses Landes
auferlegt wurde. Das ist nicht nur ein Wechseln der Spur im wirtschaftlichen Bereich. Vielmehr erfordert das eine
Wende in allen Bereichen, nämlich in der Wirtschaft, in der Politik und in der Ideologie. Die Gorbatschow-Strömung
trägt die Fahne dieser Wende. Das endgültige Resultat wird die Auflösung des (sowjetischen)
Lagersozialismus sein, und zwar nicht nur in der Sowjetunion sondern auf internationaler Ebene, und eine
Veränderung des Machtgleichgewichts zwischen den imperialistischen Lagern. Die Krise der sozialistischen
Lagerparteien hat schon begonnen. Das Wirtschaftsmodell, die politische Strategie, die praktischen Taktiken und
das ideologische System dieser Parteien wurde schon als gescheitert erklärt. Ihre politische Geschichte, ihre Parolen
und Methoden, werden bereits eine nach der anderen in den eigenen Reihen in Frage gestellt. Ihre theoretischen und
politischen Autoritäten werden diskreditiert. Der Wiederaufbau eines revisionistischen Lagers scheint sehr
unwahrscheinlich, wenn diese Strömung in ihrem Zentrum damit beschäftigt ist, ihre wirtschaftlichen und
politischen Streitigkeiten und Differenzen mit dem Westen zu verringern. Obwohl das hohe Ansehen der Politik
Gorbatschows in den Augen des Bourgeois-Liberalismus die rasche Auflösung der (sowjetischen) Lagerparteien
kurzfristig verzögern könnte, werden sie am Schluß ihrem Schicksal nicht entrinnen können.
Die Lage der Sozialdemokratie ist nicht so ernst wie die der pro- sowjetischen Strömungen. Der ideologische und
politische Wiederaufbau der europäischen Sozialdemokratie ist schon in vollem Gange. Das wesentliche Element
dieses Prozesses ist das Sich entfernen dieser Strömung von der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung auf der
Suche nach einer größeren sozialen Basis in der Mittelklasse. Auch wenn es unwahrscheinlich scheint, daß die
Sozialdemokratie in nächster Zukunft in Ländern wie Westdeutschland und Großbritannien an die Macht kommt,
wird diese Strömung weiterhin als starke Opposition und als Faktor zur Mäßigung der extremistischen Standpunkte
der Politik des rechten Flügels der Bourgeoisie fortbestehen. Aber auch das wird begleitet sein von einer
deutlicheren Trennung dieser Strömung von der Arbeiterpolitik, der sozialistischen Politik und der sozialistischen
Tendenzen.
In den Entwicklungsländern werden diese jüngsten Entwicklungen eine wichtige und entscheidende Wirkung auf
die oppositionellen Strömungen haben. Durch die Diskreditierung der Befürwortung des Staates und durch den
Bankrott der Utopie des unabhängigen Kapitalismus verliert der radikalpopulistische Nationalismus jeglichen
Inhalt. Die Kursänderung der Protestbewegungen in den Entwicklungsländern in Richtung auf Übereinstimmung
mit den Interessen des Westens wird klar deutlich. Legale und friedliche Bewegungen, die ihre Zukunft in der
Erlangung von Zugeständnissen sehen, welche hauptsächlich durch eine Liberalisierung des politischen Überbaus
und die wirtschaftliche Unterstützung des Westens zu erreichen sind, nehmen den Platz des gewaltsamen
"Anti- Imperialismus", welcher die Oppositionsbewegungen in diesen Ländern in den sechziger und siebziger
Jahren beherrschte, ein. Dieser Prozeß wurde noch dadurch verstärkt, daß die Sowjetunion ihre Unterstützung des
gewaltsamen anti-amerikanischen Kampfes eingestellt hat, und der Sowjetblock keine Möglichkeiten mehr hatte,
die Entwicklungsländer wirtschaftlich zu unterstützen. Der radikale Populismus und der Volkssozialismus in den
Entwicklungsländern sind am Ende ihres Weges angelangt. Es fehlt an politischer Perspektive und Alternative und
materieller Hilfe um weiter zu kämpfen.
Alles in allem erleben wir in der gegenwärtigen Periode den Verfall und die Marginalisation des Nichtarbeiter-Radikalismus.
Dieser Rückschlag ist die direkte Widerspiegelung der Wende, die in der sozialen Basis dieser
Strömungen stattgefunden hat. Die Interessen der verschiedenen Zweige der Bourgeoisie sind noch enger
miteinander verschlungen. Die wirtschaftlichen Modelle des Ostens und Westens haben sich einander angenähert,
hauptsächlich bedingt durch die Unterordnung des Ostens. Die Wirtschaft der Sowjetunion und der Blockstaaten
bewegt sich auf ein totale Integration im Weltmarkt zu. So überläßt der Wettbewerb, bedingt durch die
Konfrontation zwischen diesen beiden Modellen, seinen Platz den neuen nationalistischen Rivalitäten in der Welt
durch das Auftreten neuer Polarisationen der nationalen Wirtschaftssysteme Japans, Westdeutschlands,
Westeuropas und der neu industrialisierten Länder. Die Bourgeoisie in den Entwicklungsländern sucht ihre Zukunft
in einer umfassenden Integration in den internationalen Kapitalismus, der von den USA und Westeuropa angeführt
wird. Die Hegemonie der Befürworter des freien Marktes hat sich gefestigt. Die Auseinandersetzung um die
Steigerung der Arbeitsproduktivität hat die Interessen der gesamten Bourgeoisie gegenüber der Arbeiterklasse noch
deutlicher gemacht. Die Grundlagen für radikale Proteste und die Äußerung von radikalen Ideen innerhalb der
herrschenden Klassen selbst sind abgeschwächt worden. Der Bourgeois-Sozialismus und der Pseudo-Marxismus
befinden sich, gerade wegen der Schwächung des Einflusses der sozialistischen Tendenzen innerhalb der
Gesellschaftsschicht, die ihre Basis bildeten, im Verfall. Die Bourgeoisie in den Ostblockländern, die Intellektuellen
in Westeuropa und die moderne Klein-Bourgeoisie in den Entwicklungsländern verlieren ihren Glauben an die
bisherigen pseudo-sozialistischen Modelle und neigen mehr zu den Perspektiven, die ihnen das Kapital des Westens
bietet, welches sich auf die technologische Revolution verläßt. Dieses ist eine unumkehrbare Entwicklung. Die
Krise des Nichtarbeiter-Sozialismus und - Radikalismus ist eine Krise, die auf die Verschiebung der sozialen Basis
dieser Strömungen nach Rechts zurückzuführen ist.
Auf politischer und praktischer Ebene verlieren der Nichtarbeiter- Sozialismus und -Radikalismus ihre
traditionellen Tätigkeitsbereiche. Der Verfall der Gewerkschaftsbewegung in Europa, die "linken" Studenten-Bewegungen
und die "anti-imperialistischen" Volksbewegungen in den Entwicklungsländern schränken den
politischen Tätigkeitsbereich des real existierenden Kommunismus und Sozialismus stark ein. Alles deutet darauf
hin, daß die pseudo-sozialistischen Strömungen in den kommenden Jahren an den äußersten Rand der politischen
Bühne gedrängt werden.
Die Krise des Bourgeois-Sozialismus hat einen starken Einfluß auf die Situation der gesamten Arbeiterbewegung
und der revolutionären sozialistischen Strömungen. Die Isolation des Bourgeois-Sozialismus und das Hinwenden
der Mittelklasse nach rechts, sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern, bringt die gesamte
Arbeiter- und marxistische Bewegung in eine ungünstige Lage. Bis jetzt ist es dem existierenden radikalen
Kommunismus nicht gelungen, einen Tätigkeitsbereich, der sich von dem dieser Strömungen unterscheidet, zu
finden. Das gleiche Volk und die gleichen Intellektuellen, die die soziale Basis des Nichtarbeiter-Sozialismus
bildeten, waren auch die Adressaten und Subjekt der Aktivitäten der radikaleren Strömungen, die dem Marxismus
näher stehen. Tatsächlich existiert der radikale Kommunismus nur als eine kritische Strömung und als Druckmittel
gegen den Revisionismus und die Sozialdemokratie. Die soziale Basis und das Subjekt der Aktivitäten des radikalen
Marxismus unseres Zeitalters unterscheiden sich nicht viel von dem des Bourgeois-Sozialismus und Populismus.
Die Krise und der Verfall der letztgenannten führen zur Isolation ihrer linken Kritiker und schränken diese auch ein.
Im Hinblick auf die gescheiterte Erfahrung dessen, was in der öffentlichen Meinung auf jeden Fall mit dem
Sozialismus identifiziert worden war, wird die Sympathie für sozialistische Ideale und sozialistische Kritik der
heutigen Gesellschaft geringer, und die Verunglimpfung der sozialistischen Perspektive und der Versuche, sie zu
realisieren, wächst. Der Einfluß des Marxismus unter den Intellektuellen nimmt ab, und den Marxismus als eine
Doktrin, die sich überholt hat und gescheitert ist, anzugreifen, gewinnt die Oberhand. Ein Sozialist zu sein und
einen Aufruf für die sozialistische Revolution zu geben, wird schwerer in einem Klima der Verzweiflung, welches
auf den Rückzug und die Passivität der bourgeois-sozialistischen Strömungen zurückzuführen ist. Die gegenwärtige
Lage bringt die soziale Zusammenziehung des gesamten, bis heute existierenden Sozialismus mit sich, sei es linke
und radikal oder rechts und reformerisch.
Arbeiterkommunismus, Möglichkeiten und Hindernisse
Vom Standpunkt des Arbeiterkommunismus aus sind alle zuvor genannten Entwicklungen zweischneidig und
widersprüchlich. Die Krise der sogenannten sozialistischen Strömungen beraubt die Arbeiterbewegung ihrer
gegenwärtig bestehenden Führung und führt unvermeidlich zu einer Verminderung der Kraft dieser Klasse im
täglichen Kampf für Reformen. Andererseits öffnet sich ein Raum für die Bildung von Arbeiterkommunismus-Strömungen
an der Spitze der Arbeiterbewegung. Einerseits verdrängt das Verebben der Volksbewegungen die
Mittelklassen vom Schauplatz des Protests gegen die bestehende Ordnung. Andererseits enthüllt es deutlich den
Klassencharakter des sozialen Protests. Der theoretische Bankrott des Bourgeois-Sozialismus stellt das allgemeine
soziale Prestige des Marxismus in Frage, aber andererseits vereinfacht er die Arbeit, eine nicht verzerrte und
radikale Interpretation der Marxschen Revolutionstheorie zu entwickeln. Einerseits werden viele die Reihen des
sozialistischen Kampfes verlassen, andererseits wird der verbleibende Sozialismus mehr einen Arbeiter- und
radikaleren Charakter annehmen. Was beachtet werden sollte ist, daß, während all diese negativen Entwicklungen
im spontanen Lauf der Dinge unvermeidbar auftauchen werden, die positiven Entwicklungen insgesamt für ihre
Verwirklichung eine bewußte und geplante Praxis des Arbeiter-Kommunismus erfordern werden.
Dies ist jedoch eine Praxis, die alle objektiven Vorbedingungen für Erfolg beinhaltet. Der Arbeiter-Radikalismus
wird die einzig mögliche Form des Radikalismus werden. Nie zuvor sind die Bedingungen so günstig gewesen, die
kommunistische Theorie in eine materielle Kraft umzuwandeln. Nie zuvor hat die Arbeiterklasse den
Kommunismus, und nur den Kommunismus so nötig gehabt. Und nie sind die materiellen Bedingungen, den
Arbeiter-Kommunismus in eine der lebendigsten und mächtigsten Protestströmungen zu verwandeln, so günstig
gewesen. Das Wachstum und die Entwicklung der kapitalistischen Produktion, die gewaltige Kraft des Proletariats
in der Produktion weltweit, der politische Bankrott all der Strömungen, die den Arbeiter abgeraten haben, eine
Revolution gegen die gesamte Ordnung anzufangen, das alles sind Anzeichen für die großen Möglichkeiten des
Arbeiterkommunismus.
Aber diese Praxis erfordert seine eigenen, geeigneten Leute und Parteien. Der Hauptschwachpunkt liegt hier. Zu
einer Zeit, wo die Ruinen des Nichtarbeiter-Sozialismus über jedermanns Kopf zusammenbrechen, genießt der
Arbeiterkommunismus die geringste Reserve an Theorie und Kritik, die geringsten Kampftraditionen,
Organisationen und Kader. Diesem Problem sollten die Befürworter dieser Linie, nämlich des
Arbeiterkommunismus, ihre sofortige Beachtung schenken.
Mansoor Hekmat
[1] der Zweite Kongreß der K.P.l. fand im März 1986 statt
[2] das Zentralorgan der K.P.l.
m-hekmat.com #0340de
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